An der Nordküste Siziliens, mit Blick auf das Tyrrhenische Meer und eingebettet in die raue Vegetation des Monte Catalfano, liegt Solunt – eine antike Stadt, eingefroren in der Zeit, wie ein Satz, der mitten im Sprechen verstummt ist. Wer die Straße von Santa Flavia hinaufgeht, zwischen Weinreben, Feigenkakteen und alten Trockenmauern, dem erscheint der Eingang zum archäologischen Park wie ein Übergang: eine Schwelle zwischen dem stillen Heute des Hügels und der geschäftigen Erinnerung einer untergegangenen Welt.
Die Geschichte Solunts beginnt mit den Phöniziern. Wahrscheinlich wurde die Stadt im 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr. gegründet, zu einer Zeit, als die phönizischen Händler ihre Handelsnetze entlang der Küsten des westlichen Mittelmeers ausbauten. Solunt war Teil eines wichtigen phönizischen Städtedreiecks auf Sizilien, zusammen mit Panormos (dem heutigen Palermo) und Motya. Die Stadt war keine Metropole, aber ein aktiver Knotenpunkt für den Seehandel und die Verteilung von Waren ins Landesinnere.
Nach der Ausbreitung der Griechen auf Sizilien, insbesondere nach dem Vorrücken der Syrakuser im 4. Jahrhundert v. Chr., wurde Solunt weiter oben am Monte Catalfano neu gegründet oder verlegt. Die neue Stadt wurde nach hellenistischen Prinzipien geplant: mit peristylartigen Wohnhäusern, einem rechtwinkligen Straßennetz, einem Theater am Hang und einer großen Agora. Inschriften in Altgriechisch zeugen von einer tiefgreifenden Hellenisierung, auch wenn die punischen Wurzeln nicht vollständig verschwanden.
Ihre Blütezeit erlebte Solunt zwischen dem 3. und dem 1. Jahrhundert v. Chr., während der hellenistischen und frühen römischen Epoche. Sie war nie Schauplatz großer historischer Ereignisse, doch ihre relative Ruhe erlaubte eine reiche bürgerliche Entwicklung. Die wohlhabenden Bürger lebten in geräumigen Häusern mit verzierten Innenhöfen, und der Handel blieb ein Lebensnerv der Stadt. Das Theater, hoch über dem Meer gelegen, bot Platz für etwa tausend Zuschauer. An klaren Abenden konnte man nicht nur Aufführungen, sondern auch das ewige Schauspiel der Küste beobachten, mit dem Kap Zafferano am Horizont wie ein steinernes Messer.
Der Niedergang begann im 1. Jahrhundert n. Chr. und setzte sich allmählich bis ins 3. Jahrhundert fort. Die Ursachen sind nicht eindeutig geklärt: wirtschaftlicher Rückgang, Erdbeben, Krankheiten oder eine schlichte Verlagerung des Lebens in lebendigere Küstenstädte könnten Gründe gewesen sein. Die Stadt wurde nach und nach verlassen, von der Vegetation verschlungen und geriet in Vergessenheit.
Erst im 18. Jahrhundert wurde Solunt wiederentdeckt, als die Bourbonen mit ersten Ausgrabungen begannen. Die Forschungen setzten sich bis ins 20. Jahrhundert fort und brachten eine bemerkenswert gut erhaltene Stadt zum Vorschein. Heute erlaubt der Archäologische Park Solunt den Besuchern, auf originalen Pflasterstraßen zu gehen, die Überreste antiker Häuser wie das Haus der Leda mit Freskenfragmenten zu besichtigen und das Theater zu erklimmen, von dem aus sich ein ergreifender Blick auf den Golf von Palermo eröffnet.
Der Park ist ganzjährig geöffnet. Der Haupteingang befindet sich in der Contrada San Cristoforo, nur wenige Kilometer vom Bahnhof Santa Flavia entfernt. Bequeme Schuhe und ausreichend Wasser sind vor allem in den Sommermonaten ratsam, da der gesamte Rundgang im Freien und mit leichtem Anstieg verläuft. Touristischer Komfort ist kaum vorhanden – und gerade das macht den Ort besonders: Solunt bietet einen unverfälschten Zugang zu den alten Steinen, zur Stille der Landschaft, zum Licht, das Geschichte zeichnet.
Solunt zu besuchen bedeutet, nicht nur eine archäologische Stätte zu erkunden, sondern sich auf einen anderen Zeitrhythmus einzulassen – langsamer, tiefer, konzentrierter. Auf einer Insel, die oft über ihre Strände oder barocken Städte definiert wird, ist Solunt eine leise, aber wesentliche Stimme. Eine Hochebene zwischen Natur und Erinnerung, die seit Jahrhunderten darauf wartet, wirklich gehört zu werden.